Falstaff an der Volksoper Wien
Giuseppe Verdis letzte Oper

Weniger ist manchmal mehr: Eine gute Portion Lebensweisheit hat der fast 80jährige Giuseppe Verdi in seiner letzte Oper hinterlassen. Im 21. Jahrhundert würde man die Vorgände um das ausschweifende Leben des Sir John Falstaff und dessen tragikomische Läuterung wohl "Die peinliche Story von Clip and Paste" nennen. Der völlig abgebrannte Hauptdarsteller säße dann in einem Internetcafé und versende, von Lust und Habgier besessen, an die schönen und reichen Damen der gesellschaft Serien-emails nach dem Prinzip "Clip & Paste" (Ausschneiden und Einfügen) - alle bekommen den gleichen schwülstigen Liebesbrief. Regisseur Marco Arturo Marelli, der das Bühnenbild selbst entworfen hat, verschont uns allerdings mit einer zwanghaft ins Heute transferierten Storyline, sondern versetzt die Besucher der Oper tatsächlich ins 19. Jahrhundert, in dem Pagen und Hausdamen das Leben der feinen Gesellschaft erleichtern und selbst beim Fremdgehen helfen sollen.

Weniger ist manchmal mehr: Die Bühne überrascht wegen ihrer Schlichtheit und Genialität: so bewegen sich die Bretter, die die Welt bedeuten, gleich zu Beginn des ersten Akts nach oben und mutieren zum Dach der Gastwirtschaft, in der Falstaff und seine Freunde aus der Unterwelt hausen. Am Ende dieses Aktes verschwindet die Bühne wieder nach unten, und das Dach ist Park und Haus der Angebeteten zugleich. Eine spanische Wand, ein paar Stühle, ein Wäschekorb, in dem das ganze Unterfangen von Falstaff, sich zwei "bessere" Damen zu angeln, schließlich baden geht, und Tannenbäume aus Stoff, die gegen Ende des Stücks immer mehr in den Himmel wachsen - mehr braucht Marelli nicht, um Verdis Geschichte zu erzählen. Etwas befremdlich die Ku-Klux-Klan Kostüme in der Waldszene. Marellis Inszenierung ist bunt und schelmisch, ein wenig zu Lasten der romantischen Nuancen dieses Stücks. Um so mehr entlarvt sich Falstaff beim Publikum als berechnender Taugenichts, dem eine gewisse Sympathie aber nicht abgesprochen werden kann. Bryn Terfel spielt und singt den Falstaff glaubwürdig ohne Überzeichnungen und auf höchstem Niveau. Seine sichere Stimme überzeugt nicht nur in den lauten Tönen, sondern auch in den sanften Zwischentönen, seine Diktion ist außerordentlich präzise. Sein Gegenspieler, der beinahe betrogene Ehemann Mr. Ford alias Carlos Alvarez meistert den raschen Wechsel zwischen rasender Eifersucht und sanft-liebevoller Art. Ford darf seine Rache-Pläne ja nicht verraten. Die Damen auf der Bühne werden stimmlich klar von Mrs. Quickley alias Jane Henschel angeführt. Sie ist die Drahtzieherin des ganzen Stücks und nimmt das Publikum klar für sich ein.

Weniger ist nicht immer mehr: Zu gern hätte man sich nach dem fulminanten, äußerst bunten Ende noch Zugaben gewünscht! Operndirektor Ioan Holender kann zufrieden sein. Auch wenn die Interpreten bereits erahnen ließen, dass das Publikum zufrieden sein könnte, ist der große Erfolg dieser Neuinszenierung des erstmals im Jahr 2000 an der Volksoper in italienischer Sprache (mit deutschen Untertiteln) aufgeführten Spätwerks Verdis ein großes Plus für Holender. "Tutto nel mondo è burla" - alles in der Welt ist ein Scherz.